
Entzugsleistung Wärmepumpe: Die zentrale Dimensionierungskennzahl
Die korrekte Bestimmung der Entzugsleistung entscheidet über die erforderliche Sondenlänge, Kollektorfläche oder Brunnenauslegung und beeinflusst damit Investitionskosten, Systemeffizienz und langfristige Wirtschaftlichkeit direkt.

Die Entzugsleistung einer Wärmepumpe bezeichnet die messbare thermische Energie, die das System pro Zeiteinheit aus der gewählten Wärmequelle entzieht. Diese in Watt (W) oder Kilowatt (kW) angegebene Leistungskennzahl entspricht der Kälteleistung im thermodynamischen Kreislauf und bestimmt die gesamte Anlagendimensionierung fundamental. Die Entzugsleistung beträgt typischerweise 75 bis 80 Prozent der nominalen Heizleistung einer Wärmepumpe. Eine 10-Kilowatt-Heizanlage benötigt 7,5 bis 8,0 Kilowatt Entzugsleistung aus der Wärmequelle, während die verbleibenden 2,0 bis 2,5 Kilowatt durch elektrische Antriebsenergie bereitgestellt werden.
Thermodynamische Grundlagen der Entzugsleistung
Die Entzugsleistung bildet den essentiellen Energie-Input im Wärmepumpen-Kreislauf. Die thermodynamische Leistungsbilanz folgt der fundamentalen Gleichung: Heizleistung = Entzugsleistung + elektrische Antriebsleistung. Diese Beziehung zeigt, dass die Wärmepumpe Umweltwärme (Entzugsleistung) mit elektrischer Energie "aufwertet", um die gewünschte Heiztemperatur zu erreichen.
Die Entzugsleistung wird im Verdampfer gewonnen. Dort nimmt das Kältemittel unter niedrigem Druck die thermische Energie der Wärmequelle auf und verdampft bei niedriger Temperatur. Die Höhe der Entzugsleistung hängt direkt von der Quellentemperatur ab: Je höher die Temperatur der Wärmequelle, desto mehr Energie kann pro Zeiteinheit entzogen werden.
Eine stabile hohe Entzugsleistung ermöglicht höhere Verdampfungstemperaturen des Kältemittels. Dies reduziert die Temperaturdifferenz zwischen Wärmequelle und Heizkreislauf, was die Effizienz der Wärmepumpe erhöht. Eine Erhöhung der Quellentemperatur von 0 auf 5 Grad Celsius steigert die Jahresarbeitszahl typischerweise von 4,3 auf 5,0 - eine Effizienzsteigerung von 16 Prozent allein durch höhere Entzugsleistung.
Spezifische Entzugsleistung: Die Dimensionierungsgrundlage
Die spezifische Entzugsleistung charakterisiert die gewinnbare thermische Energie pro Einheit der Wärmequelle und bildet die zentrale Berechnungsgrundlage für die Anlagendimensionierung. Diese Kennzahl unterscheidet sich fundamental zwischen den verschiedenen Wärmequellen-Typen.
Erdwärmesonden: Watt pro Meter (W/m)
Erdwärmesonden erreichen spezifische Entzugsleistungen zwischen 30 und 100 Watt pro Meter Sondenlänge. Die VDI-Richtlinie 4640 definiert standardisierte Planungswerte abhängig von Geologie und Betriebsstunden:
Trockene Sedimente (Wärmeleitfähigkeit unter 1,5 W/(mK)): 25 W/m bei 1.800 Jahresbetriebsstunden, 20 W/m bei 2.400 Betriebsstunden
Wassergesättigte Böden (Wärmeleitfähigkeit 1,5 bis 3,0 W/(mK)): 60 W/m bei 1.800 Betriebsstunden, 50 W/m bei 2.400 Betriebsstunden
Festgestein hoher Leitfähigkeit (über 3,0 W/(mK)): 84 W/m bei 1.800 Betriebsstunden, 70 W/m bei 2.400 Betriebsstunden
Starker Grundwasserfluss: 80 bis 100 W/m durch zusätzlichen konvektiven Wärmetransport
Die 50-W/m-Regel basiert auf durchschnittlichen Bodenverhältnissen und dient als erste Planungsgrundlage. Bei 8 Kilowatt benötigter Entzugsleistung ergibt sich: 8.000 W ÷ 50 W/m = 160 Meter erforderliche Sondenlänge.
Die Betriebsstundenzahl beeinflusst die zulässige Entzugsleistung erheblich. Eine Erhöhung von 1.800 auf 2.400 Jahresbetriebsstunden durch kombinierte Heizung und Warmwasseraufbereitung reduziert die spezifische Entzugsleistung um 15 bis 20 Prozent, da dem Erdreich weniger Regenerationszeit zur Verfügung steht.
Erdwärmekollektoren: Watt pro Quadratmeter (W/m²)
Horizontale Erdwärmekollektoren in 1,2 bis 1,5 Meter Tiefe erreichen flächenspezifische Entzugsleistungen zwischen 10 und 40 Watt pro Quadratmeter. Der realisierbare Wert hängt primär von Bodenfeuchtigkeit und Bodenart ab:
Feuchter Lehmboden: 30 bis 35 W/m²Wassergesättigter Sand: 25 bis 30 W/m²Trockener Sandboden: 10 bis 15 W/m²
Die erforderliche Kollektorfläche berechnet sich durch Division der Entzugsleistung durch die spezifische Flächenleistung. Bei 8 Kilowatt Entzugsleistung und 30 W/m² ergibt sich: 8.000 W ÷ 30 W/m² = 267 Quadratmeter Kollektorfläche. Dies entspricht typischerweise dem 1,5 bis 3-fachen der zu beheizenden Wohnfläche.
Grundwasser: Kilowatt pro Kubikmeter pro Stunde
Grundwasserwärmepumpen erreichen überschlägige Entzugsleistungen von 4 Kilowatt pro Kubikmeter Wasserdurchsatz pro Stunde. Die erforderliche Fördermenge beträgt 200 bis 250 Liter pro Stunde je Kilowatt Heizleistung.
Für eine 10-Kilowatt-Anlage ergibt sich: 10 kW ÷ 4 kW/(m³/h) = 2,5 Kubikmeter Grundwasser pro Stunde. Die konstante Grundwassertemperatur von 8 bis 12 Grad Celsius ermöglicht stabile Entzugsleistung unabhängig von Jahreszeit und Außentemperatur.
Luft: Kubikmeter pro Stunde und Kilowatt
Luft-Wasser-Wärmepumpen benötigen 400 Kubikmeter Luft pro Stunde je Kilowatt Entzugsleistung. Eine 8-Kilowatt-Entzugsleistung erfordert einen Luftvolumenstrom von 3.200 Kubikmetern pro Stunde.
Die tatsächliche Entzugsleistung variiert stark mit der Außentemperatur. Bei optimalen 2 bis 7 Grad Celsius erreicht Luft hohe Entzugsleistungen, während bei minus 15 Grad Celsius die Effizienz deutlich sinkt. Die schwankende Entzugsleistung limitiert die Planungssicherheit gegenüber erdgekoppelten Systemen.
Berechnung der erforderlichen Entzugsleistung
Die erforderliche Entzugsleistung ergibt sich aus der Heizleistung und dem Leistungsfaktor (COP) der Wärmepumpe. Die Formel lautet:
Entzugsleistung = Heizleistung × (COP - 1) ÷ COP
Alternativ vereinfacht für typische COP-Werte:
- Bei COP 4,0: Entzugsleistung = Heizleistung × 0,75 (75 Prozent)
- Bei COP 3,5: Entzugsleistung = Heizleistung × 0,71 (71 Prozent)
- Bei COP 3,0: Entzugsleistung = Heizleistung × 0,67 (67 Prozent)
Die Heizleistung muss durch eine normgerechte Heizlastberechnung nach DIN EN 12831 ermittelt werden. Diese berücksichtigt Gebäudegeometrie, U-Werte der Bauteile, Luftwechselraten und regionale Auslegungstemperatur.
Praxisbeispiel: Ein 150-Quadratmeter-Einfamilienhaus mit 10 Kilowatt Heizlast und einer Sole-Wasser-Wärmepumpe (COP 4,0) benötigt 7,5 Kilowatt Entzugsleistung. Bei 50 W/m spezifischer Entzugsleistung ergibt sich eine erforderliche Sondenlänge von 150 Metern.
Einflussfaktoren auf die Entzugsleistung
Geologische Wärmeleitfähigkeit
Die Wärmeleitfähigkeit (λ) des Untergrunds bestimmt die Entzugsleistung erdgekoppelter Systeme fundamental. Dieser Materialparameter beschreibt die Fähigkeit, Wärme zu transportieren:
Wassergesättigter Kies: λ = 1,8 bis 2,4 W/(mK) → 70 bis 80 W/mFeuchter Sand: λ = 2,7 W/(mK) → 60 bis 70 W/mTrockener Sand: λ = 0,4 W/(mK) → nur 25 W/mTorf: λ = 0,4 W/(mK) → nur 10 bis 20 W/m
Der Unterschied zwischen trockenem und wassergesättigtem Boden kann die Entzugsleistung um Faktor 3 bis 4 verändern. Die hydrogeologische Standortanalyse identifiziert wasserführende Schichten und quantifiziert deren Einfluss auf die realisierbare Entzugsleistung.
Grundwasserströmung
Grundwasserfluss erhöht die Entzugsleistung durch konvektiven Wärmetransport erheblich. Während statisches Erdreich auf Wärmeleitung angewiesen ist, transportiert fließendes Grundwasser kontinuierlich thermische Energie zur Erdsonde:
Ohne Grundwasserfluss: 50 bis 60 W/mSchwacher Grundwasserfluss: 60 bis 70 W/mStarker Grundwasserfluss: 80 bis 100 W/m
Die Fließgeschwindigkeit des Grundwassers kann die Entzugsleistung um bis zu 60 Prozent steigern. Geologische Gutachten und Grundwasserkarten identifizieren Standorte mit günstigen hydrogeologischen Bedingungen.
Regenerationszeit und Betriebsstunden
Die verfügbare Regenerationszeit zwischen Heizperioden beeinflusst die nachhaltige Entzugsleistung direkt. Das Erdreich muss sich nach der Heizperiode thermisch erholen, um die Quellentemperatur wiederherzustellen:
1.800 Betriebsstunden jährlich (reiner Heizbetrieb): Volle spezifische Entzugsleistung2.400 Betriebsstunden jährlich (Heizung + Warmwasser): Reduktion um 15 bis 20 Prozent
Bei fachgerechter Auslegung erreicht das Erdreich 6 bis 8 Wochen nach Heizperioden-Ende die ursprüngliche Temperatur. Unzureichende Dimensionierung führt zur progressiven Auskühlung mit jährlichen Temperaturverlusten von 0,5 bis 1,5 Kelvin.
Thermischer Response Test: Präzise Entzugsleistung bestimmen
Der Thermische Response Test (TRT) bildet das präziseste Messverfahren zur Bestimmung der standortspezifischen Entzugsleistung. Diese In-Situ-Messung eliminiert Planungsunsicherheiten durch pauschale Richtwerte.
Die Durchführung erfolgt über mindestens 50 Stunden durch konstante Wärmezufuhr oder -entnahme in die Erdsonde bei kontinuierlicher Temperaturmessung. Die Auswertung liefert die effektive Wärmeleitfähigkeit des Untergrunds und den thermischen Widerstand der Bohrlochwand.
Kosten versus Nutzen: Ein TRT kostet 1.500 bis 2.500 Euro. Eine fehlerhafte Annahme von 60 W/m statt tatsächlicher 40 W/m erfordert 50 Prozent längere Sonden mit Mehrkosten von 2.500 bis 4.000 Euro. Der TRT amortisiert sich durch optimierte Dimensionierung und eliminiert das Risiko kostspieliger Nachbohrungen.
Die moderne Konstante-Temperatur-Methode verkürzt die Testdauer auf 24 bis 36 Stunden bei gleichzeitiger Erhöhung der Messgenauigkeit. Diese TRT-Variante hält die Auslasstemperatur konstant und variiert die Heiz- oder Kühlleistung entsprechend.
Dimensionierungsformeln für verschiedene Wärmequellen
Erdwärmesonden-Länge berechnen
Erforderliche Sondenlänge [m] = Entzugsleistung [W] ÷ spezifische Entzugsleistung [W/m]
Bei mehreren Erdsonden verteilt sich die Gesamtlänge. Der Mindestabstand zwischen Sonden beträgt 6 Meter, um thermische Überlappung zu vermeiden. Die Gesamtbohrlänge gilt als korrekt dimensioniert bei Abweichungen unter 1 Prozent vom Sollwert.
Kollektorfläche berechnen
Erforderliche Kollektorfläche [m²] = Entzugsleistung [W] ÷ spezifische Flächenleistung [W/m²]
Die tatsächliche Grundstücksfläche muss größer sein, da Randzonen von 1,5 bis 2,0 Metern zu Gebäuden, Versiegelungen und Grundstücksgrenzen eingehalten werden müssen. Der Rohrabstand beträgt 70 bis 80 Zentimeter.
Grundwasser-Fördermenge berechnen
Erforderlicher Volumenstrom [m³/h] = Entzugsleistung [kW] ÷ 4 [kW/(m³/h)]
Alternative präzise Berechnung: Volumenstrom = Entzugsleistung ÷ (spezifische Wärmekapazität × Temperaturdifferenz). Bei 3,5 Kelvin Abkühlung und 4,18 kJ/(kg·K) Wärmekapazität ergibt sich der Faktor 4 kW/(m³/h).
Entzugsleistung und Förderfähigkeit
Die Entzugsleistung beeinflusst die BAFA-Förderfähigkeit indirekt durch ihren Einfluss auf die jahreszeitbedingte Raumheizungs-Effizienz (ηs). Sole-Wasser-Wärmepumpen müssen 150 Prozent ηs bei 35 Grad Celsius Vorlauftemperatur erreichen, entsprechend einem SCOP von 3,75.
Eine unzureichende Entzugsleistung reduziert die Quellentemperatur und verschlechtert den SCOP-Wert. Unterschreitet die Anlage die 150-Prozent-Schwelle, verliert sie die Förderfähigkeit. Der Verlust von bis zu 70 Prozent Zuschuss bei Investitionskosten von 25.000 bis 40.000 Euro bedeutet Mehrkosten von 17.500 bis 28.000 Euro.
Die stabile Entzugsleistung erdgekoppelter Systeme gewährleistet die dauerhaft hohe Effizienz für die gesamte Förder-Bindungsfrist. Die korrekte Dimensionierung ist somit nicht nur technisch, sondern auch regulatorisch zwingend erforderlich.
Wirtschaftliche Bewertung der Entzugsleistung
Die Investitionskosten variieren nach dem erforderlichen Aufwand zur Bereitstellung der Entzugsleistung:
Erdwärmesonden: 50 bis 80 Euro pro Bohrmeter. Bei 150 Meter Sondenlänge ergeben sich 7.500 bis 12.000 Euro reine Bohrkosten.
Erdwärmekollektoren: 15 bis 25 Euro pro Quadratmeter Verlegefläche. Bei 300 Quadratmeter Kollektorfläche betragen die Kosten 4.500 bis 7.500 Euro.
Grundwasserbrunnen: 3.000 bis 5.000 Euro pro Brunnen. Ein Zwei-Brunnen-System kostet 6.000 bis 10.000 Euro.
Die höheren Investitionskosten erdgekoppelter Systeme amortisieren sich durch höhere Entzugsleistung und bessere Jahresarbeitszahlen. Erdwärmesonden erreichen JAZ-Werte von 4,0 bis 4,5, während Luftwärmepumpen auf 2,5 bis 3,5 limitiert sind. Die jährliche Stromeinsparung beträgt 340 bis 500 Euro, was eine Amortisation in 10 bis 15 Jahren ermöglicht.
Fazit: Die Entzugsleistung ist die zentrale Dimensionierungskennzahl für Wärmepumpenanlagen. Ihre korrekte Bestimmung durch geologische Analyse, Heizlastberechnung und gegebenenfalls Thermische Response Tests entscheidet über technische Machbarkeit, Investitionskosten, Systemeffizienz und langfristige Wirtschaftlichkeit. Die spezifischen Entzugsleistungen variieren zwischen 10 W/m² für Erdkollektoren und 100 W/m für Erdwärmesonden in günstigem Untergrund – eine Zehnfach-Differenz, die präzise Standortanalyse unverzichtbar macht.
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